E-Learning Gesang

(Auszug aus Bachelorarbeit: „E-Learning im Umfeld der Gesangspädagogik – Chancen und Grenzen videobasierter Unterrichtsformen“) 

Mangelnde Individualität

Der gravierendste Kritikpunkt betrifft die nicht vorhandene Anpassung an die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Schüler. Anders als in der Instrumentalpädagogik, kann in der Gesangspädagogik nicht von Schulen gesprochen werden, die jedem Schüler ohne Bedenken „übergestülpt“ werden können, wenn es um das Unterrichten des Fachs Gesang geht. Der Grund liegt in der individuellen Beschaffenheit des Instruments. Keine Stimme gleicht einer anderen, jede Stimme ist aufgrund ihres Baus einzigartig und muss auch so behandelt werden. Somit kann ein Kurs zur Gesangstechnik nicht funktionieren, wenn er für alle Schüler gleichermaßen zur Anwendung kommen soll und möglicherweise nicht einmal Unterschiede hinsichtlich der Stimmgattungen gemacht werden.

Fehlendes Feedback

Auch das fehlende Feedback, welches gerade bei der Arbeit an Gesangstechnik besonders bedeutsam ist, stellt einen Nachteil dar. Jeder Schüler, der mit dem Singen beginnt, pflegt unbewusste Verhaltensmuster, die für den Gesang nicht zuträglich sind und oft nur durch die Hilfe eines Pädagogen erkannt und behoben werden können. Diese Herausforderungen im Alleingang anzugehen ist bei noch nicht ausreichend vorhandener Körperwahrnehmung nahezu unmöglich. Es besteht zudem die Gefahr, dass sich Fehler verfestigen, die sich im schlimmsten Fall auf die Stimmgesundheit auswirken. Auch kommt es im Lernprozess möglicherweise zum Nachlassen der intrinsischen Situation. In diesem Fall ist ein Lehrer als externer Motivator da, um die Entwicklung des Schülers weiter voranzubringen und ihn wieder entdecken zu lassen, weshalb es sich lohnt weiterzumachen. 

Qualitätsmanagement

Da YouTube als Plattform für Jedermann gedacht ist, existiert keinerlei Qualitätsmanagement, was auch anhand der Qualität der Gesangs-Tutorials zu bemerken ist. Es gibt z.T. gravierende Mängel in Bezug auf die Aufnahmetechnik (Ton und Bild), die Inhalte (fehlerhafte Erklärungen zu physiologischen Themen) und den Gesang der Lehrer in den Videos, die aufgrund der gewählten Modell-Methode als Gesangsvorbild fungieren sollten, anstatt ihre eigenen gesangstechnischen Baustellen auf die Schüler zu übertragen.

Methodische Einseitigkeit

Die Verwendung jener Methode kann auch für ihre Einseitigkeit kritisiert werden. Erst eine gewisse Methodenvielfalt macht den Gesangsunterricht zu einem lebendigen Erlebnis, bei dem der Schüler die Möglichkeit hat, sein volles Potenzial zu entfalten. Die Beschränkung auf eine Methode führt u.U. nur dazu dass ein Schüler dazu in der Lage ist, andere Stimmen zu imitieren, statt seine eigene Stimme zu finden und entsprechend seiner Anlagen zu singen. 

Abhängigkeit von Medienkompetenz

Eine Gefahr für Missverständnisse und Fehldeutungen ist die große, unüberschaubare Auswahl an Kanälen mit gesangspädagogischen Inhalten. Ebenso viele  verschiedene Meinungen zur richtigen Gesangstechnik mit uneinheitlichen Begriffen und Definitionen sowie zu Unterrichtsansätzen existieren auf der Plattform, dass es für Schüler eine große Herausforderung ist, eine Auswahl zu treffen. Die Medienkompetenz ist ein Schlüssel zum Auffinden der erwünschten Ergebnisse. Da es auf YouTube keine eigene Kategorie für instrumental- und gesangspädagogische Inhalte gibt, müssen Schüler schon bevor sie einen Kurs absolvieren sehr gut informiert sein, um passende Suchbegriffe auszuwählen. Andernfalls bleibt nur die Möglichkeit, alle Suchergebnisse hinsichtlich der Bewertung oder der Aufrufzahlen zu sortieren. 

Besondere Kritik für den deutschsprachigen Raum

Bislang existieren zudem zu wenige deutschsprachige Inhalte, besonders im klassischen Bereich. Nicht jeder Schüler ist der englischen Sprache, besonders bezüglich gesangsspezifischer Vokabeln so mächtig, dass auch englische Kanäle eine Option zur Weiterbildung sind. Die Nutzung eines maschinell erstellten Transkriptes, das z.T. übersetzt werden kann, besteht. Leider sind sowohl die Transkriptionen als auch die Übersetzungen noch so fehlerbelastet, dass eine Nutzung auf Dauer nur für Verwirrung sorgt.